Julia Hagemann
 
 
 
„So!“, sagte Gott und krempelte die Ärmel hoch. „Jetzt fang ich an. Abgabetermin war noch mal wann? Nächsten Sonntag. Hmm, das wird natürlich ziemlich knapp. Macht aber nichts.“
Gott war ein sonniges Gemüt und ließ sich durch unmögliche Aufgaben nicht aus der Ruhe bringen. Notfalls mogelte er mit Wundern.
Er nahm eine große Handvoll Nichts und drückte es zu einem erbsengroßen Bällchen zusammen. Er fügt einige weitere Handvoll hinzu und drückte wieder, das wiederholte er noch eine Menge Male, knetete und rollte und quetschte das Bällchen dabei, bis es immer kleiner wurde und kaum noch zu sehen war, dafür aber so schwer, dass Gott die Schweißperlen auf die Stirn traten. Als es die richtige tiefschwarze Farbe hatte und ein feines Sirren von ihm ausging, das gleichzeitig auch ein tiefes Grollen war, in genau der richtigen Mischung, drückte er ein letztes Mal zu und ließ dann los.
Es knallte. Ohrenbetäubend.
Die Erbse flog auseinander wie nichts Gutes und flog und flog, hier und da sammelte sich der herumfliegende Staub schon zu Klumpen, ähnlich den Wollmäusen unterm Bett, die ja auch aus Nichts zu entstehen pflegen, einigen Klumpen wurde durch das schnelle Fliegen so heiß, dass sie zu glühen begannen, es wurde immer heller, ohne dass er es anordnen musste, es ergaben sich Strudelbewegungen von ein bisschen oder gar nicht glühenden Klumpen um taghell glühende Klumpen, und in all dem Wirrwarr und leuchtenden Explodieren und Strudeln konnte man Gott wie ein kleines Kind sehr glücklich strahlen sehen.
Dies“, sagte er, „ist über alle Maßen schön.“
Dann zeigte er auf einen schwarzen Klumpen und sagte: „Der da. Der ist genau richtig. Au, noch heiß!“ Er pustete sich auf den Finger.
In diesem Moment donnerte es, das kann wohl in etwa als Äquivalent dafür gelten, wenn bei Ihnen jemand an die Tür klopft. Gott schaute überrascht auf und sagte: „Ja?“
Neben ihm stand ein ernster Herr mit graugelocktem Bart, den man leicht selbst für Gott hätte halten können, hätte er keinen schwarzen Gehrock getragen. Er zog einen Ausweis aus der Brusttasche und sagte: „Darwin, Charles, Abteilung für interne Qualitätssicherung, insbesondere Entstehung der Arten und Unarten. Sie sind im Begriff, die Welt zu erschaffen?“
Ich habe“, sprach Gott und richtete sich auf, „soeben damit begonnen.“
Gut, gut.“, sagte Darwin und sah sich um. „Keine Lebewesen bisher?“
Noch zu heiß.“, sagte Gott. „Sogar für Cyanobakterien. Wollen Sie probieren?“ Er reichte Darwin ein Gläschen mit dunkelgrünen Presslingen, der warf eine Handvoll auf den vor sich hin blubbernden und stinkenden Erdenkloß. Es qualmte, die grünen Dinger versanken.
Sehen Sie?“, sagte Gott. „Heute abend können wir nichts mehr tun. Gehen wir einen trinken auf gute Zusammenarbeit.“
 
Am nächsten Morgen sagte Gott: „Charles“, (man duzte sich bereits) „ich weiß, wie wir sie am besten abkühlen: Wasser.“
Prima“, sagte Darwin, „dann kann ich ja das mit den Cyanobakterien noch mal ausprobieren.“
Und zusammen gossen sie eimer- und kübelweise Wasser auf die junge Erde, Darwin in schönster Missachtung seines eigentlich beobachtenden Postens, das meiste verdampfte sofort wieder, und Gottes und Darwins Bärte kräuselten sich immer mehr.
Ich wollte als Kind schon Feuerwehrmann werden.“, erklärte Darwin, während er ein ausgeklügeltes System aus geneigten Rinnen, Pumpen und Schläuchen in Bewegung setzte. Es spritzte kolossal, und die beiden Herren hatten einen Heidenspaß.
Am frühen Nachmittag erfand Gott die Schwerkraft, von da an begann das Wasser sich in den Vertiefungen zu sammeln und schwappte nur noch leise hin und her. Der viele Wasserdampf lag als dichte Wolkendecke über allem, und je weiter das Wasser stieg, desto hübscher sah das Ganze aus mit reizenden gezackten Küstenlinien und kleinen Inseln.
Nach einigen Stunden sagte Darwin: „Gott?“
Ja?“
Wie lange willst du noch? Es guckt fast nichts mehr raus.“
Um Himmels willen!“, sagte Gott, „da hab ich überhaupt nicht drauf geachtet.“, und er drehte das Wasser ab. „Fürs erste.“, sagte er dabei. „Später setz ich sie vielleicht mal komplett unter Wasser, nur um zu sehen, wie es ist. Lass uns jetzt mal so zehn, fünfzehn Prozent davon auf Vorrat einfrieren und oben und unten drauf lagern. So, siehst du, jetzt kommen auch wieder Berge raus. Also, hier Land, da Wasser. Sieht doch ganz gut aus jetzt, oder?“
Darwin nickte, und sie gingen wieder in die Himmelswirtschaft.
 
Als sie am nächsten Morgen zurückkehrten, war das ganze Festland mit einer schlickigen grünen Schicht bedeckt, und auch das Wasser hatte an vielen Stellen eine trübe grünliche Färbung.
Was ist denn hier passiert?“, rief Gott entgeistert. Darwin schaute schuldbewusst. „Verflixt, ich glaub, das ist meine Schuld. Ich hab gestern noch so ein paar Cyanobakterienpresslinge in den Matsch geworfen. Bist du sauer?“
Ach wo!“ Gott lachte schon wieder. „Da machen wir was draus. Die Farbe gefällt mir. Was hältst du von Pflanzen? Algen, Moose, Farne, Maiglöckchen, Libanonzedern ... und alle grün!“
Könnte langweilig werden und gibt auf jeden Fall Ärger im Herbst, wenn das Laubharken angesagt ist“, sagte Darwin. „Aber mach, wie du meinst. Hauptsache immer schön eins aus dem anderen hergeleitet, dass die Logik nachzuvollziehen ist. Erst Schachtelhalm, dann Affenbrotbaum.  - Was sollen die Geranien da?“ (Gott hatte schon angefangen.) „Die sind noch überhaupt nicht dran!“
Sie stritten viel an diesem Tag, und am Abend fand eigentlich nur Darwin, dass es gut war, Gott waren es immer noch viel zu wenig Geranien.
 
Das Streiten wurde auch am nächsten Morgen nicht weniger, als Gott mit Fischen und Vögeln anfangen wollte, „damit hier endlich Leben in die Bude kommt und die Abgase von dem ganzen Grünzeug aufgebraucht werden.“, wie er sagte.
Fische und Vögel?“, heulte Darwin auf. „Du hast ja keine Ahnung! Hast du überhaupt einmal in die „Richtlinien zur Planetenschöpfung“ reingeguckt? Ammoniten sind dran, Trilobiten, Saurier. Ich sag dir, dafür wirst du berühmt. Man wird Museen mit ihnen füllen.“
Quatsch!“, sagte Gott. „Will ich nicht. Ich mach jetzt Fische und Vögel.“ Und diesmal setzte er sich durch, indem er Darwin einfach ignorierte. Den ganzen Tag.
Darwin bemühte sich unterdessen, die haarsträubenden Verstöße gegen die „Richtlinien zur Planetenschöpfung“ auszubügeln, vergrub selbstgebastelte Brontosaurierskelette hier und Mammutzähne dort und schimpfte die ganze Zeit vor sich hin. „Ich sollte das eigentlich nicht tun. Ich sollte ihn voll damit auflaufen lassen. Pfusch ist das, absoluter Pfusch. Da – er hat sich 'nen Hammerhai ausgedacht! Grauenhaft geschmacklos. Wo krieg ich jetzt so schnell den passenden Ichthyosaurus her? Der Kerl arbeitet viel zu schnell, keine solide handwerkliche Arbeit mehr, alles Pfusch!“
Und Gott lachte und erschuf den Pfau.
Und er sah, dass es sehr gut war und Darwins vergrabene Knochen allem den richtigen wissenschaftlichen Anstrich verliehen.
Trotzdem sprachen sie in der Himmelswirtschaft kein Wort miteinander.
Gott schmunzelte vor sich hin und strickte baumwollene Socken („Sehr nützliche Pflanze!“, murmelte er) und Darwin grollte in sein Bier.
Kurz vor Mitternacht kam Gott an Darwins Tisch und sagte: „Nicht böse sein, Charles. Morgen arbeiten wir dafür genau nach Buch.“
 
Um es gleich zu sagen: sie arbeiteten nicht nach Buch.
Darwin schrie: „Frösche! Erst Frösche!“, während Gott zufrieden lächelnd Wattebäusche an Kaninchenhintern klebte. Und Gott schuf den Dackel vor dem Wolf und die Siamkatze vor dem Säbelzahntiger und brachte überhaupt alles so in Unordnung, dass Darwin den Tränen nahe war.
Als dann die Tiere noch anfingen, sich gegenseitig aufzufressen, der Bär die brandneuen Aale dezimierte und der Adler sich an den soeben geschaffenen Feldhamstern vergriff, geriet Darwin ganz aus dem Häuschen. „Das dürft ihr nicht!“, schrie er den Löwen zu, die ein wertvolles Antilopen-Einzelstück umzingelten. „Paragraph 114 in den Richtlinien: Die Pflicht des Stärkeren ist es, die Schwächeren zu schützen und der Gemeinschaft  zu dienen!“
Er zeterte so lange weiter, bis ihn ein unbekannter, köstlicher Duft ablenkte und Gott ihm ein Stück gegrilltes Gazellenrippchen herüberreichte. Er aß es und änderte dann handschriftlich den bewussten „Richtlinien“- Paragraphen. Seitdem ist dort vom „Recht“ des Stärkeren die Rede.
 
Nach dem Mittagessen ignorierten sie also die sich voller Lebenslust weiter abschlachtenden Tiere und erschufen einfach, so schnell es ging, gegen die Verluste an. Allmählich arbeiteten sie sogar ganz gut zusammen, beim Elefanten dachte allerdings jeder von ihnen, seine Seite sei hinten, daher die komische Form, und ganz zum Schluss hatte jeder einen angefangenen Vierfüßler, aber die Sonne ging schon unter, da bauten sie die beiden Teile einfach zusammen und nannten das Ergebnis Hyäne.
Gut!“, sagte Gott und grinste.
Na ja.“, sagte Darwin, als die Hyäne davonwackelte.
So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr.“, sagte Gott.
So wurde aus Abend und Morgen der fünfte Tag.
 
Am sechsten Tag weckte Gott Darwin schon fürchterlich früh.
Komm,“ sagte er, „lass uns Menschen machen nach unserem Bilde!“
Nee,“ sagte Darwin, „nicht schon wieder! Wir sind gerade mit den Affen fertig geworden. Jetzt warte doch einfach, das erledigt sich von selbst. Wie beim Abwaschen. Du musst nicht immer auch noch abtrocknen, das geht von selbst. Nur Geduld. Lies Kapitel elf in den „Richtlinien“ , und vor allem, lass mich schlafen.“
Nein,“ sagte Gott, „dauert viel zu lange. Lass und Menschen machen nach unserem Bilde, ein Geschöpf, das uns gleich sei.“
Du nervst.“, sagte Darwin. „Warte einfach!“
Dauert zu lange.“, sagte Gott. „Übermorgen ist Abgabetermin. Mit Menschen, sonst mach ich nicht mit. Und bedenke doch: nach unserem Bilde.“
Darwin zögerte. „Nach wessen?“ sagte er dann. „Deinem oder meinem?“
Gott zögerte auch. Aber nur kurz. „Na gut. Nach deinem.“
O.k.“, sagte Darwin, „von mir aus. Aber die Affen sollen wenigstens bis Australopithecus ...“
Jaja“, unterbrach ihn Gott. „Alles, was du willst. Aber jetzt schnell, raus aus dem Bett, setz dich hier auf den Stein und halt still!“
Aus was willst du die Menschen machen?“ fragte Darwin, weil Gott begann, im Erdreich zu graben.
Aus Lehm.“, sagte Gott. „Dafür hab ich extra den Westerwald erschaffen.“
Aus Dreck?“, sagte Darwin. „Au wei. Das wird man am Charakter merken.“
Da Darwin sich weigerte, beim Posieren das Nachthemd auszuziehen, war Gott in einigen Bereichen auf seine Phantasie angewiesen und machte vorsichtshalber zwei Varianten. Und weil Darwin nicht besonders still hielt und dauernd den Kopf drehte, um zu gucken, passierte es, dass die eine Variante den reichgelockten Bart am Ende am Hinterkopf hängen hatte, aber Gott lachte nur darüber und ließ es so. Er hatte auch ohnehin schon so lange daran gewerkelt, dass er keine Lust mehr hatte, noch etwas zu ändern, selbst als Darwin unzufrieden die Strirn runzelte.
So blies er den beiden Lehmfiguren noch schnell ein bisschen Geist ein (zu wenig in der Eile, aber das merkte er erst später) und ließ sie auf den Rest der Schöpfung los.
So wurde aus Abend und Morgen der sechste Tag.
 
So.“, sagte Gott. „Jetzt bin ich erschöpft. Mehr geht nicht. Ich mach morgen blau. Deinen Bericht musst du ja sowieso alleine schreiben.“
Und Gott ruhte am siebten Tag und sah Darwin bei der Arbeit zu. Der schwitzte fluchend über seinen Notizen und brauchte Stunden, um nachzuweisen, dass die Erde nicht in sechs Tagen, sondern in Jahrmillionen entstanden war. Und er hatte ein ziemlich schlechtes Gewissen beim Lügen.
Und Gott segnete den siebten Tag und sagte: „Einen Tag in der Woche braucht man, wo man anderen beim Arbeiten zugucken kann.“
 
 
 
Genesis 1: Gott und Darwin erschaffen die Welt
 
Donnerstag, 10. April 2008