Generalprobe


Als Oma 88 war,

beschloss sie still bei sich:

"Wie ich mal in den Himmel fahr,

entscheid alleine ich!


Sonst krieg ich noch den Kirchenchor,

und der singt wirklich schaurig,

und alle stehen vorm Sarg davor

und tun, als wärn sie traurig.


Son kleines bisschen tiefbetrübt,

das ist ja noch o.k.,

doch kein Geheul! Wenn man das übt,

tuts nachher nicht so weh.“


Nachdem sie so gesprochen,

verstrichen gut zwei Wochen,

dann lud sie ein mit frohem Schwung

zur Probe der Beerdigung.


Sie mietete den Bürgerpark

und kaufte sich nen schicken Sarg

aus himmelblauem Balsaholz.

"Das trägt man heute!", sprach sie  stolz,


bestellte eine Volkstanzgruppe

und 60 Liter Hummersuppe.

und schrieb dem Pastor noch die Predigt.

Dann rief sie froh: "Es ist erledigt!“


Sie rief fast täglich bei uns an,

ob wir auch alle kämen,

„Denn“, sagte sie, „wer da nicht kann,

der sollte sich was schämen!“


Wir fanden das ne Schnapsidee,

doch mochten wir sie sehr,

so fuhrn wir an den Bodensee,

sechs Stunden ungefähr.


Der Bürgerpark war schön geschmückt,

mit Luftballons und Fähnchen,

die Kinder waren ganz entzückt,

es duftete nach Hähnchen.


Die Volkstanzgruppe sprang im Kreis,

es juchzten die Schalmeien,

ein hübscher Jüngling brachte Eis.

Bekränzt mit Akeleien


empfing uns Oma schön gekämmt

im bodenlangen Leichenhemd

aus allerfeinster Haspelseide,

die Augen funkelnd voller Freude.


Sie gab uns allen bunte Hüte,

Trompeten allererster Güte

und Noten für den Hochzeitsmarsch.

"Versucht es einfach!" rief sie barsch


und warf sich rücklings in den Sarg

"Auf, auf, ihr Mannen, seid ihr stark

genug mich wegzuschleppen?

Passt auf, da vorn sind steile Treppen!"


Wir bliesen falsch, mit Lungenschmerzen

bis zur Kapelle und hinein.

Da brannten sicher tausend Kerzen,

der Pastor stand in ihrem Schein


und hielt die Predigt, dass es krachte.

Und Oma saß im Sarg und lachte.

„Zur Erde kehrt nun heim der Leib

von Gertrud, diesem Klasseweib.“


Wir sangen noch ein Lied zur Trommel,

dann zog der Pastor an nem Bommel,

und Oma wurde aufgehoben.

„Hurra, ich schweb!“, rief sie von oben.


Dann trug man sie - jetzt wirds entsetzlich -

zu einem ausgehobnen Grab.

Nur Oma fand das noch ergötzlich,

die jetzt den Trägern Trinkgeld gab,


die, dadurch abgelenkt, nicht sahen,

wohin sie traten, und auch prompt

ins Stolpern kamen und den nahen

und tiefen Rand… - was jetzt noch kommt,


ist nicht mehr lustig. Oma fiel

samt ihrem Sarg drei Meter tief.

Dort lag sie still. Das war kein Spiel.

Man liegt nicht so geknickt und schief.


Sie war so leicht, nur Haut und Knochen.

Ihr Lächeln wirkte winzig klein.

So hat sie sich den Hals gebrochen.

Herrgott, was ist die Welt gemein.


Und während jeder schwer bereute,

dass er sich jetzt grad hier befand,

sah ich, dass auf dem Grabstein heute

als Todestag gemeißelt stand.


Und wenn ihrs auch schon alle ahnt,

wir nehmen an, sie hats geplant.


Julia Hagemann 7-12

(unter Verwendung von Ideen von Barbara Berrien und Luisa Hagemann)

Foto: Nicole Siemers

Foto: Nicole Siemers

Blinder Fleck


Die meisten Menschen haben

bei sich nen blinden Fleck:

Die eignen großen Gaben.

Da schaun sie immer weg.


Der eine, der kann zuhörn,

da wird ein andrer froh.

Und sagt man ihm, wie gut das tut,

da meint er bloß: "Wieso?

Das ist doch nichts Besonderes, das ist doch ganz normal!

Ich hätt so gern was Anderes, hätte ich die Wahl:

Ich möchte dichten wie der Heine, das wär ganz kolossal!"


Und einer, der kann dichten,

das flutscht ihm raus wie nix.

Doch freut er sich? Mitnichten!

"Das sind doch simple Tricks!

Das ist doch nichts Besonderes, das ist doch ganz normal!

Ich hätt so gern was Anderes, hätte ich die Wahl:

Ich möchte malen wie da Vinci, das fände ich genial!"


Und kann dann einer malen,

dass fast die Leinwand glüht,

da möcht er gern mit Zahlen

so gut sein wie Euklid.

Der Mathelehrer rechnet gut

und führe lieber Rennen,

der Formel-1-Star gäb sein Blut

für eine Zucht von Hennen.


Und wer die Hennen hat, will singen,

wer singt, will ins Büro,

wer im Büro sitzt, möchte ringen,

der Ringer sagt: "Wieso?

Das ist doch nichts Besonderes, das ist doch ganz normal!

Ich hätt so gern was Anderes, hätte ich die Wahl:

Ich möchte einfach Leuten zuhörn, das wär phänomenal!"


Da siehst du's, du kannst sicher sein,

das eigne ist verkehrt.

Da machen wir uns gerne klein,

selbst wenn die Welt uns ehrt.

Mensch, guck mal nach, was macht dich aus?

Wo brennst du lichterloh?

Mit was bist du in dir zu Haus?

Was macht dich wirklich froh?


JH 5.3.2012






















Strand von Westerland heute Nachmittag


Unendliches Rollen,

hier schwindet das Wollen.

Es steigen die Wogen

und fallen im Bogen

und toben und tosen und plätschern und kippen

und grollen und lachen mit schäumenden Lippen.

Sie stürzen sich näher, ihr Ziel zu erreichen

und müssen doch immer der nächsten schon weichen.

Es scheint so viel Kampf und vergebliches Streben

und ist doch nur Leben.

JH 14.3.12



noch eins, auch von da


Die Nordsee tost ganz ohne Zweck,

die Wellen kommen, fließen weg,

sie lecken gierig weit ins Land, 

zerrinnen schäumend auf dem Sand,

sie stelln der nächsten schnell ein Bein,

da fällt sie drüber, rollt sich ein,

fließt unentschlossen etwas seitlich,

und wird dann selber unvermeidlich 

vom großen Ganzen aufgesogen.

Und die Gemeinschaft dieser Wogen

fraß schon halb Sylt.

Son Meer ist wild.

JH 14.3.12


Foto: Nicole Siemers

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